Mit Antikörpern gegen den Krebs

Von Cornelia Werner 

Die Diagnose Krebs schockiert: Wer erfährt, dass er an Krebs erkrankt ist, wird von Angst gepackt - vor Operationen, anstrengenden Chemotherapien und davor, dass vielleicht doch keine Therapie mehr hilft.

Doch Krebs ist nicht gleich Krebs. So unterschiedlich die vielen Tumorerkrankungen sind, so sind es auch die Behandlungsmöglichkeiten und Heilungschancen. An der Spitze stehen nach wie vor bei den Männern Prostatakrebs, bei Frauen Brustkrebs, bei beiden Geschlechtern gefolgt von Darm- und Lungenkrebs. "Da insgesamt der Anteil älterer Menschen an der Bevölkerung steigt, werden vor allem Krebsarten zunehmen, die in höherem Alter auftreten, wie zum Beispiel Prostatakrebs und bestimmte bösartige Veränderungen des Knochenmarks", sagt Prof. Udo Vanhoefer, Chefarzt des Zentrums Innere Medizin und Leiter des Onkologischen Zentrums am Hamburger Marienkrankenhaus. Doch auch andere Krebsarten gewinnen an Bedeutung: So nimmt der schwarze Hautkrebs, das Melanom, stark zu: "An diesem Krebs erkranken pro Jahr 16 000 Menschen neu, fünfmal so viele wie noch vor 50 Jahren. Hauptrisikofaktor ist die erhöhte UV-Belastung durch Sonneneinstrahlung", sagt Vanhoefer. 

Grafik über zielgerichtete Therapien
Das Verständnis über die Vorgänge in Krebszellen wächst seit Jahren.

Dass manche Tumorarten etwas von ihrem Schrecken verloren haben, liegt zum einen daran, dass sie früher entdeckt werden, zum anderen aber auch daran, dass es bessere Behandlungsmöglichkeiten gibt als noch vor wenigen Jahren. So werden heute bei vielen Krebsarten Antikörper eingesetzt, die auf unterschiedliche Weise das Wachstum der Tumorzellen bremsen. "So kamen in den 90er-Jahren die ersten klinischen Forschungsansätze über die Beeinflussung von Wachstumsfaktoren der Krebszellen auf. Das war damals für viele Ärzte noch gar nicht vorstellbar. Seitdem gibt es eine dramatische Änderung der Behandlungskonzepte", sagt Vanhoefer. 

Der größte Fortschritt durch die Einführung solcher Antikörper sei in der Behandlung von Lymphdrüsenkrebs erzielt worden: "Rituximab ist ein Antikörper, der gegen ein bestimmtes Oberflächenmerkmal der Krebszellen gerichtet ist. Durch die Behandlung mit diesem Medikament konnten die Heilungschancen und die Überlebenszeiten der Patienten erheblich verbessert werden. Wie sehr, ist aber stark abhängig vom Untertyp des Lymphoms." 

Ein weiteres Beispiel seien Therapieerfolge bei Geschwulsten, die aus Gewebeanteilen des Magens und des Darms hervorgehen und in die Bauchhöhle und Leber Metastasen setzen können (GIST-Tumoren). "Diese Tumoren sind heute durch den Wirkstoff Imatinib sehr gut behandelbar", erklärt der Onkologe. Bei diesem molekularen Therapieansatz, der seit 2002 zugelassen ist, wird ein spezieller Rezeptor der Tumorzelle durch das Medikament ausgeschaltet, sodass sich die bösartigen Zellen nicht mehr teilen. "Die Tabletten haben aufgrund des gezielten Wirkmechanismus relativ wenige Nebenwirkungen und die Patienten können heute trotz Metastasen mit sehr guter Lebensqualität jahrelang mit der Krankheit leben. Früher lag die Lebenserwartung dieser Patienten im Durchschnitt deutlich unter zwei Jahren."

Ihr Experte

Prof. Dr. med. Udo Vanhoefer

Prof. Dr. med. Udo Vanhoefer

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  • Medizinische Schwerpunkte

    • Internistische Onkologie und Hämatologie (Fokus: moderne Antikörper- und Immuntherapien)
    • Gastroenterologie
    • Infektiologie
  • Mitgliedschaft in Fachgesellschaften

    • American Society of Clinical Oncology (ASCO)
    • European Society for Medical Oncology (ESMO)
    • Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM)
    • Bund Deutscher Internisten (BDI)
    • European Organization for Research and Treatment of Cancer (EORTC) 
    • Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (DGHO)
    • Deutsche Krebsgesellschaft
    • Arbeitskreis Internistische Onkologie (AIO) der DKG 
  • Wissenschaftliche Positionen

    01/2000-12/2002Chairman der „Translational Research Group“ der Arbeitsgruppe für gastrointestinale Tumoren der European Organization for Research and Treatment of Cancer (EORTC)
    01/2000-12/2002Board Member der EORTC Gastrointestinal Tract Cancer Cooperative Group
    01/2002-12/2004 Editorial Board Member des “Journal of Clinical Oncology”
    seit 2001Mitglied der Leitgruppe für Gastrointestinale Tumoren der Arbeitsgemeinschaft für Internistische Onkologie (AIO)
    seit 2004Mitglied der S3-Leitlinienkommission Kolorektales Karzinom
    seit 2009Mitglied der S3-Leitlinienkommission Magenkarzinom
    2010-2014Vorstand des Universitären Cancer Center Hamburg (UCCH)
    2010-2014Award Committee der European Society Medical Oncology (ESMO)
  • Auszeichnungen wissenschaftlicher Gesellschaften

    • Bristol-Myers Squibb Investigator Award 1998, American Association for Cancer Research, New Orleans, LA, USA
    • Investigator Scholar Award 1999, American Association for Cancer Research, Washington DC, USA 
    • Investigator Award 2001, American Association for Cancer Research, New Orleans, LA, USA (Mitarbeiterin der klinischen Arbeitsgruppe: Frau Dr. M. Tewes)
    • Claudia-Thiele Preis, Westdeutschen Tumorzentrum, Essen, Mai 2001
    • Merit Award 2002, American Society of Clinical Oncology, Orlando, Fl, USA (Mitarbeiterin der experimentellen Arbeitsgruppe: Frau AIP A. Braun)
    • Investigator Award 2002, American Society of Clinical Oncology, San Diego, CA, USA (Mitarbeiterin der experimentellen Arbeitsgruppe: Frau AIP A. Braun)

  • Lebenslauf

    Derzeitige PositionSeit 16.02.2004 Chefarzt des Zentrums Innere Medizin, Schwerpunkt: Hämatologie und Onkologie, Gastroenterologie, Infektiologie, Kath. Marienkrankenhaus, Hamburg
    Seit 07.07.2010, Leiter des Onkologischen Zentrums, Kath. Marienkrankenhaus, Hamburg
    1982-1989Studium der Humanmedizin an der Medizinischen Hochschule Hannover 
    April 1989Ärztliche Prüfung an der Medizinischen Hochschule Hannover 
    Juni 1989-November 1990Arzt im Praktikum im Zentrum für Innere Medizin, Medizinische Hochschule Hannover
    Dezember 1990Approbation als Arzt, Landesprüfungsamt Niedersachsen
    Januar 1991-Juli 1994Assistenzarzt in der Inneren Klinik und Poliklinik (Tumorforschung), Universitätsklinikum Essen 
    März 1991Dissertation zum Dr. med. an der Medizinischen Hochschule Hannover; Thema der experimentellen Promotion: Über die Hepatotoxizität von Ciclosporin in Interaktion mit Amphotericin B und Imipenem/Cilastatin (Beurteilung: magna cum laude)
    Januar 1994Ernennung zum Wissenschaftlichen Assistenten auf Zeit
    August 1994-Mai 1996Forschungsaufenthalt am Roswell Park Cancer Institute, Department of Molecular Pharmacology and Experimental Therapeutics, Grace Cancer Drug Center, Buffalo, USA
    Juni 1996-September 1997Assistenzarzt in der Inneren Klinik und Poliklinik (Tumorforschung), Universitätsklinikum Essen
    Oktober 1997-September 1998Assistenzarzt im Zentrum für Innere Medizin, Interdisziplinäre Internistische Intensivstation, Universitätsklinikum Essen 
    Oktober 1998-April 1999 Assistenzarzt in der Inneren Klinik und Poliklinik (Tumorforschung), Universitätsklinikum Essen
    November 1998-Dezember 1998Forschungsaufenthalt am Roswell Park Cancer Institute, Department of Molecular Pharmacology and Experimental Therapeutics, Buffalo, New York, USA 
    April 1999Erteilung der Gebietsbezeichnung „Innere Medizin“
    April 1999Ernennung zum Oberarzt der Inneren Klinik und Poliklinik (Tumorforschung), Universitätsklinikum Essen
    Oktober 1999Ernennung zum leitenden Oberarzt der Klinik, ärztliche Leitung der Poliklinik, Innere Klinik und Poliklinik (Tumorforschung), Universitätsklinikum Essen
    Oktober 2000Einleitung des Habilitationsverfahrens, Thema der Habilitationsschrift: „Präklinische und klinische Evaluation topoisomerase-I-interaktiver Substanzen in der Therapie von gastrointestinalen Malignomen“
    März 2001Schwerpunktbezeichnung: „Hämatologie und Internistische Onkologie“
    Juli 2001Erteilung der Venia Legendi für das Fach Innere Medizin
    Januar 2002Berufung zum C2-Hochschuldozenten
    Juni 2002Listenplatz C3-Universitätsprofessur für Hämatologie und Internistische Onkologie, Westfälische Wilhelms-Universität, Münster
    31. Mai 2006Verleihung der außerplanmäßigen Professur der Universität Duisburg-Essen
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Um abschätzen zu können, ob die Therapie mit solchen zielgerichteten Medikamenten hilft, ziehen die Ärzte auch tumorgenetische Untersuchungen heran. "Denn man weiß, dass diese Therapie bei bestimmten Mutationen nicht greift. Deswegen analysieren wir gezielt, welche Patienten von der Therapie profitieren und welche nicht. Wenn man feststellt, dass einer dieser sogenannten Tyrosinkinase-Inhibitoren nicht wirkt, kann man immer noch auf ein anderes Medikament der gleichen Wirkgruppe ausweichen." 

Diese Form der Therapie ist das, was Experten heute unter dem Stichwort "individualisierte Medizin" zusammenfassen. Kein Tumor ist wie der andere, und die Therapie richtet sich nach den individuellen Merkmalen des Patienten und der Tumorart. 

Einer der Vorreiter dieser neuen Strategie ist die Brustkrebstherapie. Der Antikörper-Wirkstoff Herceptin, der bei Frauen eingesetzt wird, die den Wachstumsfaktor "Her2/neu" auf ihren Krebszellen haben, wird jetzt auch zur Behandlung des Magenkrebses eingesetzt. "Eine Ausprägung des Magenkarzinoms produziert das gleiche 'Her2/neu', wie er bei Frauen mit den bestimmten Brustkrebstypen gefunden wird. Man hat jetzt herausgefunden, dass für diese Patienten eine Chemotherapie in Kombination mit dem Antikörper wesentlich besser wirksam ist, als die alleinige Chemotherapie. Der Antikörper wurde in diesem Jahr dafür zugelassen", sagt Vanhoefer. 

Dieser kombinierte Therapieansatz hat sich auch bei Darmkrebs als effektiv erwiesen - aber nur, wenn die Krebszellen nicht eine bestimmte Mutation aufweisen. Bewährt hat sich in der Darmkrebstherapie bereits die Kombination einer Chemotherapie mit dem Wirkstoff Bevacizumab, der die Bildung von neuen Blutgefäßen im Tumor hemmt und 2004 zugelassen wurde. 

Weitere Entwicklungen versprechen neue Therapieansätze, auch wenn die ersten Erfolge noch bescheiden klingen: Im April wurde in den USA eine therapeutische Impfung gegen Prostatakrebs zugelassen. "Dabei werden Blutbestandteile des Patienten mit einem Protein verschmolzen und dem Patienten verabreicht. Das führt dazu, dass bestimmte Zellen des Immunsystems ein Enzym angreifen, das vor allem von Prostatakrebszellen produziert wird, und so das Tumorwachstum gehemmt wird. Es darf in den USA eingesetzt werden bei Patienten mit fortgeschrittenem Prostatakrebs, denen eine Hormontherapie nicht mehr hilft, und verlängert die Überlebenszeit um weitere vier Monate", berichtet Udo Vanhoefer.

Auch zur Behandlung des Melanoms wird ein Antikörper getestet: Er richtet sich gegen ein Eiweiß, das das Immunsystem reguliert. Das hat zur Folge, dass eine Abwehrreaktion gegen das Melanom in Gang gesetzt wird. Vanhoefer: "Das Mittel befindet sich zurzeit im Zulassungsverfahren. In Studien bei Patienten mit fortgeschrittenem und metastasiertem Melanom verlängerte es die Überlebenszeit um drei Monate." 

Den größten Forschungsbedarf sieht der Onkologe auf dem Gebiet der Molekulargenetik: "Wir müssen in Zukunft noch mehr verstehen, wie Veränderungen in den Tumorzellen und die Wirkmechanismen der Medikamente zusammenhängen, um Resistenzen gegen die neuen Medikamente beherrschen zu können." Man wisse bereits, dass Tumorzellen Wege finden, die Angriffspunkte der Medikamente zu umgehen. Dann könne man oft noch auf andere Medikamente ausweichen. "Aber die Therapiemöglichkeiten werden nach Versagen eines Medikamentes immer geringer." 

Trotz aller neuen Erkenntnisse bleibt der Krebs eine bedrohliche Erkrankung. Gerade deswegen sei die ganzheitliche Behandlung des Patienten wichtig, sagt Vanhoefer: "Und dazu gehört neben der onkologischen auch die soziale und psychoonkologische Betreuung sowie unterstützende Maßnahmen, wie zum Beispiel die Schmerztherapie und die pflegerische Versorgung." 

Quelle: www.abendblatt.de / 07.09.2010

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